Richtest Du Fragen an Dich selbst?
Es wird vielleicht manche überraschen, dass ich mir überhaupt keine Fragen stelle, und dass ich grundsätzlich nicht damit beschäftigt bin, Fragen zu formulieren, um sie an mich selbst zu richten. Ich führe keine inneren Monologe oder Dialoge. Ich rede nicht mit einer Stimme in meinem Kopf, keine Stimme redet in meinem Kopf mit mir und ich würde auch keiner Stimme zuhören, die in meinem Kopf zu reden anfängt.
Ich habe einen guten Grund, keine Selbstgespräche zu führen:
Ich habe mir nichts mitzuteilen. Es gibt nichts, das ich weiß, dass ich nicht weiß.
Ich weiß genau so viel oder so wenig wie ich. Also welchen Sinn sollte es haben, mich selbst mit meiner inneren Stimme nach bei mir nicht vorhandenem Wissen zu fragen? Und dann auch noch zu versuchen, mir selbst zu antworten?
Man kann jede Frage, die man an sich selbst richtet, mit immer dem gleichen Satz beantworten, ohne etwas von seiner Intelligenz zu verlieren:
Um diese Frage zu beantworten, müsste ich mit mir selbst reden.
Man kann sich große Mühe geben, den Worten, die man an sich selbst richtet, einen Sinn zu geben. Und man kann sich gleichzeitig noch mehr Mühe geben, in dem Strom der eigenen Worte nach Sinn zu suchen. Dieser anstrengende Prozess ist selbstreferenziell, kindisch und von vornherein sinnlos.
Wer tut so etwas?
Eigentlich alle. Wer es nicht glaubt, sollte mal in der deutschen Wikipedia den Artikel über Intuition nachschlagen. Da heisst es, schon im ersten Satz: "Intuition ist die Fähigkeit (...) Einsichten zu erlangen (...) ohne den diskursiven Gebrauch des Verstandes."
Praktischerweise ist das Wort "diskursiven" ein Hyperlink auf den Artikel über Diskurs. So kann man bequem nachschlagen, dass Diskurs im klassischen Sinne ein hin- und hergehendes Gespräch ist, eine erörternde Rede.
Der diskursive Gebrauch des Verstandes ist also ein innerer Monolog oder Dialog, den ein Mensch mit inneren Stimmen führt.
Alternativ kann man auch von "lautsprachlichen Gedanken" sprechen. Was exakt dasselbe bedeutet. Bei einem inneren Monolog redet nur eine Person, bei einem innere Dialog sind es mehrere virtuelle Personen oder Persönlichkeiten, die einen virtuellen Diskurs führen.
Es ist aber ganz gleich, wie viele virtuelle Persönlichkeiten da im inneren Dialog gegeneinander antreten – letzten Endes ist die Perspektive des inneren erörternden Diskurses immer beschränkt durch die Perspektive der Person, die in ihrem Kopf den Monolog oder Dialog führt. Denn virtualisierte Personen können ja bestenfalls die Perspektive der Person widerspiegeln, die sich den Monolog oder Dialog vorstellt.
Für mich ist diese Methode zu Denken barer Unsinn. Und gefährlich noch dazu, wie ich gleich darlegen werde.
Es macht keinen Sinn für mich, Fragen an mich selbst zu richten.
Wer sich selbst fragt, möchte eigentlich die Frage an jemanden richten, der die Antwort kennt. Das bin auf keinen Fall ich selbst, denn ich habe die Frage ja selbst gestellt.
Wenn ich anfange, mir Antworten auf meine Fragen zu geben, dann wirft jede neue Antwort, die ich mir gebe, wieder neue Fragen auf. Damit trete ich in eine unendliche regressive Sprachschleife, denn es wäre ja ein gewagter Fehlschluss, die erstbeste Antwort für wahr zu halten, und sie unhinterfragt zu glauben, ohne sie auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen! Es ist eine schlichte Tatsache, dass ich nicht in der Lage bin, mir selbst eine richtige Antwort zu geben, nachdem ich mich lediglich danach gefragt habe. Der Umkehrschluss führt zu dogmatischen Fehlurteilen, unendlichen regressiven Gedankenschleifen oder logischen Zirkelschlüssen. Stichwort Münchhausen-Trilemma.
In die Falle mit der rekursiven, regressiven Endlosschleife tappen alle, die zum ersten Mal in ihrem Leben eine Sprache – ihre Muttersprache – lernen
Beim Erwerb der Muttersprache lernt man zum ersten Mal Fragen zu stellen und Antworten zu geben. Dabei erscheint es absolut naheliegend, auch Fragen zu formulieren, um sie an sich selbst zu richten und sich diese selbst zu beantworten. Diesen Denkfehler zu machen ist so naheliegend, dass ihn alle Menschen automatisch machen. Wichtig ist, dass man die Kindheitsphase der selbstreferenziellen Selbstbefragung irgendwann wieder verlässt, bevor einem die Erde auf den Sarg geschaufelt wird.
Eine dysfunktionale Denkmethode bringt Gefahren mit sich
Wer es bei seiner selbstreferenziellen Selbstbefragung mit der Wahrheitsfindung ernst meint, vergisst im Rauschen der regressiven Schleife leicht, wo oben und unten ist. Im Dialog mit virtuellen Persönlichkeiten kann man am Ende sogar vergessen, wer da die ganze Zeit mit wem im Kopf spricht. Wenn dann auf die Frage: "Wer redet da mit mir?" die richtige Antwort ausbleibt: "Das bin ich ja selbst!" dann wird es gefährlich. Denn auch viele Psychiater sind nicht weise genug um festzustellen: "Sie haben sich da etwas zu sehr in Ihr Selbstgespräch vertieft, und sind einem logischen Fehlschluss aufgesessen, als Sie sich geantwortet haben, dass nicht Sie selbst, sondern der Mann im Mond zu Ihnen gesprochen hat."
Leider gelingt es vielen Menschen Zeit ihres Lebens nicht, sich aus eigener Erkenntnis aus der sprachlichen Endlosschleife zu befreien.
Sie beschäftigen sich lebenslänglich mit ihren Gedankenschleifen. Dabei fällt es ihnen viel leichter sich von einer Gedankenschleife (z.B. Existenzangst) durch eine andere Gedankenschleife (z.B. Fußball) abzulenken, wenn ihnen die vorherige Gedankenschleife zu unangenehm erscheint, als das gesamte Gedankenkarussell zu verlassen.
Menschen, die sich in der Gefangenschaft einer inneren Sprachschleife befinden, sind oft nur schwer zu erreichen. Es fällt ihnen schwer zuhören, denn sie hören vor allem sich selbst zu. Die logische Analyse Ihrer Denkblockade fällt ihnen unendlich schwer, da sie sofort wieder in ein selbstreferentielle Endlosschleife verfallen, wenn man die elementaren Zirkelschlüsse ihrer Denkprozesse hinterfragt. Leicht fühlen sie sich in ihrem Stolz verletzt und reagieren deshalb aggressiv.
Bitte helft mit, unsere Mitmenschen aus dieser mentalen Blockade zu befreien, auch wenn das ganz schön nervtötend und anstrengend sein kann.
Ich sehe in vielen Schattenseiten des menschlichen Daseins die Folgen dieses elementaren Denkfehlers.
Was wäre der menschliche Aberglaube und Dogmatismus ohne eine ordentliche sprachliche Endlosschleife?