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Die Amputation der Penisvorhaut ist ein Menschenopfer

Bei meinem letzten Besuch in Südafrika habe ich mich mit einem Xhosa über seine Zirkumzision unterhalten. Auch Nelson Mandela wurde in seiner Jugend beschnitten. Er beschreibt das ausführlich in seiner Autobiographie "A long walk to freedom".

Bei den Xhosa (und anderen afrikanischen Stämmen) markiert die Amputation der Vorhaut den Übergang vom Dasein als Junge zum Mann. Es ist das Ritual der Mannwerdung und damit das Ende der Kindheit. Die Beschneidung ist Initiationsritus und Mutprobe. Sie erfolgt bewußt und "freiwillig" – die Jungen müssen sich dem Ritual "freiwillig" unterziehen. So "freiwillig" wie es eben sein kann, wenn ein junger Xhosa als Mann von seinem Stamm akzeptiert werden will. Sie müssen es einfach tun, es ist "alternativlos". Nichtsdestotrotz wissen die Jungen, was mit ihnen geschehen wird. Es ist für sie eine Frage des Mutes, der Ehre und des Stolzes, sich dem Ritual zu unterziehen.

Die Jungen halten sich dazu als Gruppe für eine Weile im Busch auf und müssen sich selbst versorgen – es ist so etwas wie ein Abenteuercamp für sie. Das Ritual wird im Busch von einem Schamanen durchgeführt, der den Jungen einem nach dem anderen mit ein und demselben Messer die Penisvorhaut amputiert. Das Ganze ist haarsträubend unhygienisch und birgt ein immenses Risiko der Sepsis und/oder der Ansteckung mit HIV oder Hepatitis. Jede vierte Person in Südafrika ist HIV-Positiv. Der einzige "Schutz" vor HIV-Übertragung bei der Beschneidung besteht darin, dass von den Jungen vorher ein HIV-Test verlangt wird. Zumindest war das bei dem Xhosa, mit dem ich gesprochen habe, so.

Die Schilderung dieses archaischen und irrwitzigen Rituals ließ mich erschauern. Nicht immer erfolgt die Beschneidung auf diese Weise. Es gibt auch Ärzte, welche die Beschneidung in Bescheidungs-Kliniken durchführen. Aber der Gang zu einer Beschneidungsklinik ist nicht "the real deal" für alle Afrikaner. Oder sie können sich das gar nicht leisten.

Wenigstens wissen die jungen Xhosa, worauf sie sich einlassen, wenn sie mit dem Schamanen in den Busch gehen. Es ist ein kruder Ritus, den kein Mann unbeschädigt übersteht. Wer nur seine Vorhaut und etwas von der Empfindsamkeit seines primären Geschlechtsorganes verliert, kann sich glücklich schätzen. Andere sterben an der Sepsis oder infizieren sich mit HIV oder Hepatitis C.

Ich wußte bis vor kurzem nichts darüber, dass viele Juden ihren männlichen Säuglingen am 8. Tag nach der Geburt die Penisvorhaut amputieren lassen. Als ich das erfahren habe, war ich angewidert und entsetzt. Erfahren habe ich es – wie vermutlich viele andere – durch das Urteil eines deutschen Gerichtes, das diese religiöse Praxis als Körperverletzung erkannt und verboten hat. Anlass zu dem Gerichtsurteil war ein medizinischer Notfall, verursacht durch die Beschneidung eines vierjährigen Jungen einer muslimischen Familie.

Ich finde es bizarr, dass die Amputation der Vorhaut an Kindern und Neugeborenen als von der Religionsfreiheit geschützt dargestellt wird. Denn es sind nicht die neugeborenen Säuglinge, die ihre Religionsfreiheit damit ausüben. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Es ist die Religionsfreiheit der Kinder, die bei dem grausamen Ritual beschnitten wird. Es ist der normative Zwang der Religion, dem sich die Eltern beugen. Sollten die Opfer irgendwann ihre Religionsfreiheit tatsächlich dahingehend ausüben wollen, sich von der Religion ihrer Eltern loszusagen, behalten sie das körperliche Mal, das Stigma. Sie bleiben mit einem Geschlechtsorgan zurück, von dem ein Teil amputiert wurde. Wenigstens ist man sich hierzulande darüber einig, dass die Amputation der Klitoris bei Mädchen verboten ist und bleibt.

Das Pflegewiki hat einen umfassenden Artikel über die Amputation der Vorhaut, Operationstechniken, Indikation und Komplikationen. Das Pflegewiki erläutert auch das Thema Phimose. Der Artikel über Komplikationen ist nichts für den empfindlichem Magen.

Noch mehr Informationen liefert die Webseite beschneidung-von-jungen.de.

Für mich ist Genitalverstümmelung eine Untat, auch wenn sie weit verbreitet ist. Die Amputation der Vorhaut ist der häufigste operative Eingriff, der durchgeführt wird. Wie jede Operation birgt auch diese Operation eine Gefahr. In den USA sterben etwa 100 Jungen jedes Jahr unmittelbar durch diese Operation. Das ist zwar absolut auf die Anzahl der vorgenommenen Amputationen gerechnet sehr wenig, aber vermeidbar. Denn medizinisch ist die Amputation der Vorhaut definitiv nicht indiziert. Nebenbei: Erst wenn sich bei einem 18 Jahre alten Mann die Vorhaut nicht zurück ziehen lässt, liegt eine Phimose vor. Häufig werden Jungen wegen angeblicher Phimose beschnitten. Das ist Quatsch. Bei kleinen Jungen ist die Vorhaut grundsätzlich mit der Eichel verwachsen, sie löst sich erst mit der Geschlechtsreife.

Die Genitalverstümmelung bei Jungen ist nicht so drastisch wie die "pharaonische" Beschneidung der Mädchen. Damit argumentieren die "Verharmloser": Wer die Amputation der Vorhaut bei Jungen ablehnt, verharmlost angeblich die Amputation der Klitoris bei Mädchen. Tolle Wurst. Wer Fausthiebe ins Gesicht Gewalt nennt, verharmlost Händeabhacken.

Religiös motivierte Amputationen an Geschlechtsorganen, ganz gleich bei welchem Geschlecht, sind ein dem religiösen Wahn geschuldetes und durch nichts anderes begründbares Verbechen, wenn die Betroffenen nicht mündig sind und das absolut freiwillig und ohne Zwang so wollen. Selbst dann ist es allerdings zweifelhaft, wenn Mediziner medizinisch nicht begründbare Operationen vornehmen. Mag sein, dass die Verantwortlichen das nicht so empfinden. Aber sie verüben eine nicht mehr rückgängig zu machende körperliche Verstümmelung an Schutzbefohlenen, welche die unaufkündbare Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe zementieren soll. Und die Kinder werden dadurch traumatisiert.

Von mir aus kann jeder mündige Mensch mit seinem Körper machen was er will. Ein Eingriff in die körperliche Selbstbestimmung von Schutzbefohlenen, der den bleibenden Verlust eines funktionalen Körperteils nach sich zieht, erscheint mir jedoch als ein wahnwitziges Verbrechen – es ist nicht die Entscheidung der Säuglinge oder kleinen Jungen, sich einem Ritual zu unterziehen, bei dem ein Teil des Penis dem Glauben an ein Gespenst geopfert wird. Eine Vorhaut wächst nicht nach. Die Unversehrtheit des Genitals ist dahin.

Die Stimme Gottes hat angeblich zu Abraham gesagt: "Alles, was männlich ist, sollst Du am Fleische beschneiden".

Für die meisten Männer ist der Penis das wichtigste und beliebteste Körperteil schlechthin. Sich von ihrem geliebten Heinrich unter enormen und oft noch wochenlang anhaltenden Schmerzen etwas amputieren zu lassen - zumal einen besonders empfindlichen Teil mit einer ungeheuren Dichte von sensiblen Nervenzellen – ist ein großes, und durchaus ernst gemeintes Opfer. Dabei handelt es sich um ein Pars-pro-toto-Opfer - man opfert einen Teil des Körpers anstelle des Ganzen.

Das ist der Kern der Sache. Die Amputation der Vorhaut ist ein Menschenopfer aus dem Altertum, das man einem wolkenschiebenden Gespenst erbringt, welches man verehrt und gleichzeitig fürchtet, um einen "ewigen Bund zu besiegeln". Damit wird nicht der ganze Mensch geopfert, sondern nur ein Teil davon – es ist also ein "Menschenopfer, light". Das Opfer der männlichen Vorhaut ist die sublimierte und etwas humanere "Alternative" dazu, Menschen als Opfergaben an einen Götzenglauben zu töten. Es ist die "humanere" Alternative dazu, einen gefesselten Menschen die Treppen eines Tempels hinunterzustossen, mit einem Ritualmesser aus Obsidian das noch schlagende Herz herauszuschneiden, den Schädel einzuschlagen, jemanden bei lebendigem Leib zu verbrennen oder zu schächten. Immerhin will niemand mehr diese religiösen Tradionen aufleben lassen, obwohl es sie schon vor tausenden Jahren gab.

Gläubige Menschen opfern Menschen, Vorhäute, Dinge in der Hoffnung, dass der jenseitige, allmächtige Bündnispartner sich durch den Bund gebunden fühlt und für seinen Bundesgenossen sorgt. Man versucht sich den Wohlwollen eines Geistes zu erkaufen, dem man sich ausgeliefert fühlt. Man opfert, betet, tut Abbitte, man verlässt sich auf den jenseitigen Beistand und manchmal zweifelt man auch daran.

Für Aussenstehende, die nicht in der Vorstellungswelt und im Glauben einer religiösen Gruppe beheimatet sind, ist ein Menschenopfer – auch ein partielles – ein bizarrer Vorgang. Zur Rechtfertigung dieser religiösen Handlungen, werden schon seit langer Zeit auch andere "Gründe" angeführt, die rationaler sein sollen als die angeblichen Äusserungen von "Gottes Willen" in den "heiligen" Schriften und Büchern.

So soll die Amputation der Vorhaut gegen HIV-Ansteckungen vorbeugen helfen, der verbesserten Genitalhygiene dienen, sie sollte gegen Onanieren ("Selbstbefleckung") oder Gebärmutterhalskrebs helfen, die Chancen der Frauen auf einen gemeinsamen Orgasmus vergrößern, ästhetisch sein und und und. Die niederländische Ärtzeschaft hat erklärt, dass diese Behauptungen unhaltbar sind. Die Vorhaut ist bei allen männlichen Säugetieren Bestandteil der Anatomie und kein Tumor, der entfernt werden muss.

Wem nützt es?

Die wahren Gründe der Genitalverstümmelungen werden verschleiert und bemäntelt. Nach dem Motto: Die Begründung ist albern, aber es schadet nicht wirklich und ist sogar nützlich. Argumentiert wird auch – natürlich – mit der Tradition. Nun, unsägliche Traditionen gibt es viele. Auch die Judenverfolgung durch das Christentum kann auf eine mehr als 1800 Jahre währende Geschichte zurückblicken. Die Judenverfolgung ist aber keine gute, alte Tradition, sondern eine Schande für die Menschheit. Und ebenso verhält es sich mit Menschenopfern.

Im Verstümmeln des Genitals liegt zunächst einmal ein Akt der äußersten Unterwerfung. Es wird signalisiert: Vor der Gesellschaft und besonders vor dem großen Geist ist auch oder gerade der Intimbereich eines Menschen nicht sicher. Kinder bekommen durch das Trauma das deutliche und schmerzliche Signal, dass sie der Tollheit der Gruppe und der Willkür der allmächtigen Götzen/der Götter für immer und bis in den intimsten Bereich ausgeliefert sind.

Weiter soll durch das beigebrachte Mal die Gruppenzugehörigkeit unumkehrbar gekennzeichnet werden. Damit soll das Zusammengehörigkeitsgefühl einer Gruppe gestärkt und die Abgrenzung von anderen Gruppen zementiert werden. Eine Rockerkutte kann man ausziehen, wenn man kein Rocker mehr sein will. Einen abgetrennten Teil des Penis bekommt man nie wieder. Es ist ein Mal, ein Stigma, das alle Mitglieder der Gruppe kennzeichnet. Deshalb lassen sich beispielsweise die Yakuza tätowieren.

Nicht minder wichtig: Der Glaube an das Gespenst wird durch die Bereitschaft, ein permanentes körperliches Übel hinzunehmen, verfestigt. Nachdem man sich selbst eine funktionelle Einschränkung zum Beweis des Glaubens an das Gespenst zugefügt hat, fällt es umso schwerer, sich den Irrtum einzugestehen. Verliert man den Glauben, erkennt man die Sinnlosigkeit der eigenen Verstümmelung. Und das tut mindestens noch einmal so sehr weh.

Es gibt noch einen weiteren Grund, warum sich erniedrigende Initiationsriten erhalten, zumal solche, die zu bleibenden körperlichen Schäden oder Einschränkungen führen: Es ist der Neid der Erniedrigten und Verstümmelten auf die Unversehrten. Wenn mit der Praxis der Verstümmelung irgendwann Schluss gemacht wird, droht den Opfern klar zu werden, wie sinnlos ihr eigenes Opfer war. Und davor fürchten sie sich. Aus Neid, und um die Sinnlosigkeit der eigenen Beschränkung nicht einsehen zu müssen, fordern die Opfer vehement, dass mit dem Irrsinn weitergemacht wird. Das ist irrational und pervers – aber Neid, Eifersucht, Verdrängung, Selbsttäuschung sind in den Köpfen vieler Menschen wichtige Faktoren in ihren Handlungen und Entscheidungen.

Müssen wir religiös motivierten Verbrechen an der religiösen Freiheit und körperlichen Unversehrtheit von Kindern zusehen, nur weil mächtige religiöse Gruppen aus irrationalen, zynischen oder machterhaltenden Gründen darauf bestehen?

Ich bin generell gegen Verbote. Verbote, Kontrolle und Sanktionen – also unmittelbarer Zwang – machen nur dann Sinn, wenn die Subjekte der Kontrolle unmündige und uneinsichtige Menschen sind und es einfach anders nicht geht, um ihre Verbrechen zu verhindern. Im Moment werden in Deutschland weniger Jungen Opfer dieses Rituals. Trotzdem ist der Sinn von Sanktionen zweifelhaft. Damit bekämpft man nur die Symptome und erntet Trotzreaktionen. Immerhin verteidigt man aber die Menschenrechte und die Unversehrtheit der Kinder. Das Verbot wird aber nicht zu halten sein, da der Rechtsstaat nur eine abstrakte Idee ist, welche dem massiven Druck einflussreicher Gruppen leider nicht standhalten wird.

Um das Verbot durchzusetzen, müßte man Kinder – Jungen ebenso wie Mädchen – auf ihre körperliche Unversehrtheit untersuchen und die Eltern dafür bestrafen, wenn diese verstümmelt wurden. Dabei ist es ganz gleich wo der kleine "Eingriff" vorgenommen wurde. Genitalverstümmelung ist ein Verbrechen gegen die Kinder, ganz gleich wo sie stattfindet. Wenn es keine "ordentlichen" Genitalverstümmelungen gibt, ergäben sich ansonsten die gleichen Probleme wie mit der Drogenprohibition. Es gäbe einen Beschneidungsschwarzmarkt und Beschneidungstourismus.

Wenn Menschen verbohrt sind und sich an ihren Kindern vergehen, weil sie im Kollektiv in ihrer Innenschau fern der Realität leben, dann brauchen sie keine Strafe, sondern Aufklärung. Die Wurzel des Problems liegt in der Auslegung der Religion. Wir sollten uns aber in der aktuellen Diskussion den wohlfeilen Vorwurf des Antisemitismus und Antiislamismus nicht zu Herzen nehmen und einknicken. Es mag ja sein, dass Antisemiten und Antiislamisten das Entsetzen über diese Vergehen an Kindern als Munition dienen kann. Deswegen darf man aber die Missachtung von Menschenrechten nicht als ein Zeichen falsch verstandener Toleranz verharmlosen oder verniedlichen, weil es in den eigenen politischen Kram passt.

Wer meint, seine Neugeborenen müßten einen Teil ihrer Geschlechtsorgane einem Gespenst opfern, das vernünftigen Menschen noch nie begegnet ist, an dessen Mündigkeit sollte definitiv gezweifelt werden.

Mündigen Menschen kann und darf man nichts verbieten. Und unmündigen Menschen ist mit Strafen auch nicht geholfen. Aber irgendwie müssen Kinder vor Gewalt geschützt werden.

Wer die Genitalverstümmelung seiner Kinder als unverzichtbaren Bestandteil seiner Freiheit betrachtet und diese über die Unversehrtheit seiner Kinder stellt, der muß sich ändern.