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Der Strom des Bewusstseins (psychologisch, nicht literarisch) – und die Möglichkeit daraus auszusteigen.

Die Gehirne der meisten Zeitgenossen sind hauptsächlich damit beschäftigt in einer inneren Sprachschleife mit sich selbst zu kommunizieren. Dabei entsteht ein nicht enden wollender Strom von Gedanken, Bildern, Emotionen – der Strom des Bewusstseins. Der Bewusstseinsstrom ist jedoch nicht gleichzusetzen oder zu verwechseln mit tatsächlichem Bewusstsein oder Bewusstheit. Es handelt sich eben nicht um direkte Wahrnehmungen der Sinne und die unmittelbaren Reaktionen des Nervensystems darauf. Vielmehr ist der Strom des Bewusstseins die Summe von Projektionen oder Illusionen, die bei der Kommunikation des Gehirns mit sich selbst entstehen. Man könnte deshalb statt vom Strom des Bewusstseins zu reden auch vom Strom der Projektionen sprechen. Das Gehirn ist ein weitaus vielseitigerer Projektor als ein Filmprojektor. Denken sie einmal an einen stechenden Schmerz, die Zunge einer Katze auf ihrer Haut oder den Geruch von faulendem Fisch. Die Vorstellung fällt besonders leicht, wenn sie die sinnliche Erfahrung schon kennen und einfach aus dem Gedächtnis holen können. So funktionieren die meisten Abstraktionen der Sprache.

Der Prozess der Kommunikation des Gehirns mit sich selbst findet bei den meisten Menschen fortlaufend statt. Ganz nüchtern betrachtet – drängt sich nicht die Frage auf, warum wir das eigentlich tun? Anstatt die sinnliche Welt zu erfahren, sehen wir uns fortlaufend in unserem Kopf vereinsamt einen Film an, den wir selber drehen. Unser “Geist” ist damit beschäftigt, Geschehnisse aus der Vergangenheit nachzuerleben oder sich vermeintlich auf die Eventualitäten der Zukunft vorzubereiten. Dabei entgeht uns die Möglichkeit, den Moment des Augenblicks zu geniessen – die unmittelbare, sinnlich erfahrbare Gegenwart, das Jetzt. Den Moment des Augenblicks kann man nicht gedanklich erfassen – der Versuch ist vergeblich. In Gedanken kann man sich in der Vergangenheit aufhalten oder eine Vision der Zukunft entwerfen. In dem Moment, in dem man an den Augenblick denkt, ist dieser schon längst vorübergezogen. Das kontrollierte Denken ist dafür zu langsam, zu eingeschränkt. Trotzdem vertrauen die meisten Menschen bei den wichtigsten Entscheidungen der Instanz des kontrollierten Denkens.

Viele ältere Menschen durchleben viele Male in Gedanken den Moment ihres Todes – das belastet sie viel mehr als eines Tages wirklich zu sterben. Wäre es nicht schöner, den Moment des Lebens und des Augenblicks in aller Klarheit und Tiefe zu erleben, anstatt in unserem Kopf eine neue Welt zu zimmern und Gedanken und Tagträumen nachzuhängen? Einige Tagträumer werden sagen, dass ihnen die Wirklichkeit nichts zu bieten hat, was des Erlebens und Betrachtens wert wäre. Ich schlage vor die Wirklichkeit neu zu gestalten, statt den Tag zu verträumen.

Ich habe mich mit vielen Menschen über die Kommunikation des Gehirns mit sich selbst unterhalten. Viele sagen, dass innere Dialoge oder Monologe doch sehr nützlich seien. Etwa wenn sie durch die Selbstkommunikation in denjenigen Erinnerungen kramen, die sie sprachlich hervorholen können. Eine Einschätzung, die ich nicht teile. Ich habe ihnen vorgeschlagen, zu erlernen, wie sie den Strom des Bewusstseins wenigstens ab und zu für ein paar Minuten abstellen können. Für mich ist diese Erfahrung mit einem nur schwer zu beschreibenden Gefühl von innerer Harmonie und Glück verbunden. Wenn es ihnen gelingt, werden sie es wohl kaum eilig haben in den Dämmerzustand des alltäglichen Bewusstseins zurück zu kommen.

Begriffe aus dem Bereich von Mystik, Spiritualität, Esoterik, Religion, New Age, dem “Übernatürlichen” und “Übersinnlichen” liegen mir nicht. Ich habe lange Zeit das Wort “Ekstase” für diesen Bewusstseinszustand gebraucht, aber auch dieser Begriff erscheint mir unpassend, da unter “Ekstase” auch Zustände von Raserei und göttlichem Zungenreden verstanden werden. Aldous Huxley verwendet in dem Buch “Die Pforten der Wahrnehmung” den Begriff “Istigkeit”, der von dem mittelalterlichen Mystiker Meister Eckhart geprägt wurde.

Seit einer Weile verwende ich den Begriff “Ego-Death”. Dieser Begriff erscheint mir etwas besser, obwohl auch dieser Ausdruck irreführend ist. Was die meisten Menschen als ihr “Ich”, Selbst, Seele, Psyche bezeichnen, ist nach meinem Verständnis lediglich eine Projektion des Gehirns, ein Selbstbild, eine Illusion, an die man glauben und mit der man sich identifizieren kann. Illusionen können nicht sterben oder sich auflösen – allein, man kann den Glauben an Illusionen verlieren und das imaginierte Visualisieren derselben einstellen.

Der Bewusstseinszustand, den ich mangels eines besseren Begriffs nun “Egodeath” nenne, ist eine höchst irdische und materielle Erfahrung. Es ist das diametrale Gegenteil von Tagträumerei. Ich will es so beschreiben: Wenn man Alkohol trinkt verengt sich das Gesichtsfeld. Der Übergang zum “Ego-Death” fühlt sich so an als wäre man die längste Zeit seines Lebens in einem alkoholischen Dämmerzustand gewesen und wird schlagartig von einer überwältigenden Nüchternheit “überfallen”. Jedenfalls ist es bei meiner persönlichen Erfahrung immer so gewesen.

Die Beschränktheit meines Alltagsbewusstseins wurde mir erst bewusst nachdem ich den Kontrast dazu erlebt hatte. Das visuelle Gesichtsfeld gewinnt deutlich an Plastizität und Tiefe. Alle Sinneswahrnehmungen sind unmittelbar, intensiv und direkt. Die Sensorik der Haut, Geruch, Sehen, Hören, Körpergefühl sind alle gleichzeitig von einer ungeheuren Präsenz und Schärfe, wie ich sie nie zuvor bewusst erlebt hatte. Kontrolliertes Denken (genauer: das was die meisten Menschen in ihrem Alltagsbewusstsein dafür halten) findet nicht mehr statt. Das Denken weicht der Intuition. Man “macht” sich über das was man tut oder empfindet “keine Gedanken”. Es ist gerade diese Abwesenheit des Bewusstseinstromes, die den Zugang zu der geschärften Wahrnehmung ermöglicht.

Halluzinogene können vermutlich manchen Menschen in gewisser Weise helfen diesen Zustand zu erreichen. Aber alles was man braucht um diesen Zustand zu erreichen, ist meiner Meinung nach die Erkenntnis, dass das menschliche Denken nicht so funktioniert, wie sich das die meisten Menschen vorstellen. Das, was die meisten Menschen als kontrolliertes Denken empfinden, ist nicht so, wie es sich selbst darstellt.

Den meisten Menschen mangelt es an Vertrauen in ihre Intuition. Daran ist unter anderem unsere abendländische Kultur schuld, die von der christlichen Religion geprägt ist. Das Christentum vermittelt den Menschen den Glauben erbsündlich zu sein und ihre menschlichen Gefühle und Triebe kontrollieren zu müssen. Wir haben gelernt Angst vor Uns selbst, vor unserer tierischen “animalischen” Natur und unkontrolliertem Empfinden zu haben.

In Fragen des Denkens und der Selbstkontrolle wenden Sie sich bitte vertrauensvoll an Ihr Gehirn statt an die Kirche. Man kann zwar versuchen das Gehirn willentlich zu steuern, aber beim Versuch bleibt es. Wer der Meinung ist, dass derartiges Herumpfuschen an der eigenen Wahrnehmung Sinn macht, sollte sich die Welt zur Abwechslung mal nüchtern und illusionslos betrachten (wenn es sich einrichten lässt).

Lediglich über die Bereiche des Gehirns, in der Sprache und die damit verbundenen Assoziationen verarbeitet werden, hat man eine gewisse willentliche Kontrolle. Ob man im Kopf Gespräche führt, bei denen man sich selbst zuhört, während man äusserlich stumm bleibt – oder eben nicht – ist eine willentliche Entscheidung. Leider haben viele Menschen über diese vermeintlichen Denkprozesss keine Kontrolle mehr. Sie haben im Gegenteil beim Versuch Ihr Bewusstsein zu kontrollieren den positiven Aspekt dessen, was Sie irrtümlicherweise als “Selbstkontrolle” bezeichnen, verloren.

“Egodeath” ist dazu das Kontrastprogramm. Für mich war die Erfahrung ein überwältigendes Erlebnis, das schwer zu beschreiben ist.

Mit 300km/h Motorrad zu fahren oder ohne Sicherungsseil an einem Überhang über einem Abgrund zu klettern kann einen kurzzeitig in die Nähe dieses Bewusstseinzustands bringen oder man erreicht ihn vielleicht sogar ganz. (Ist aber gerade ziemlich abgelenkt, da man sich in Lebensgefahr befindet…) Man kann es aber auch ohne Lebensgefahr oder Drogenkonsum erreichen wenn man spazieren geht oder in einem Sessel sitzt. Sobald man sich anfängt zu sorgen, dass der Bewusstseinszustand aufhören könnte: “Wooow, ist das toll!!! Ich will, dass dieser Zustand nie wieder aufhört!” ist es aber schon wieder vorbei…

Wenn mir jemand einen Handel angeboten hätte nach dem ersten Mal, dass ich ein Jahr meines bisherigen Lebens im Dämmerzustand gegen einen Tag in diesem Zustand eintauschen könnte, hätte ich nicht lange gezögert. Ich wollte in diesem Zustand bleiben. Für immer. Aber es gelang mir nicht durch Willensanstrengung den selben herbeizuführen. Mit der Zeit konnte ich immer öfter diesen Zustand erreichen und es waren auch nicht mehr nur kurze Augenblicke. Heute weiss ich, dass das Geheimnis darin besteht, die vermeintliche Selbstkontrolle loszulassen. Versucht man die Selbstkontrolle zu kontrollieren, setzt man zu einer weiteren Selbstumkreisung an. Einfach loslassen, sich gehen lassen ist das Geheimnis. Für die meisten Mitmenschen eine entsetzliche Vorstellung. Von ihren Albträumen möchte ich jedenfalls nicht heimgesucht werden. Apropos Geheimis: Nun auch im Internet nachzulesen...

Ich kann den Augenblick vielleicht mit einer Allegorie beschrieben.

Ein Loch in der Welt der Gedanken

Du sitzt alleine in einem schwarzen, völlig dunklen Raum und betrachtest auf einer Wand ein bewegtes zweidimensionales Bild: Dein Leben. Schon immer bist Du in diesem dunklen Raum gewesen und hast die Bilder auf der Wand betrachtet. Plötzlich und ohne Vorwarnung wird das Bild scharf. Es war die ganze Zeit nicht richtig fokussiert, nur hast Du die Unschärfe noch nie zuvor wahrgenommen, weil das Bild immer unscharf war. Bevor Du in der Lage bist, den Gedanken in Deinem Kopf zu formulieren, wird die Wand schwarz, dann unsichtbar, und Du fällst durch sie hindurch. Im nächsten Moment findest Du Dich auf der Oberfläche eines Planeten auf Deinen Füßen stehend wieder und fühlst die Gravitation gegen Deine Fußsohlen drücken. Die Gedankenwelt ist ersatzlos verschwunden. Ein lauer Wind streicht durch Dein Gesicht und trägt Gerüche in sich. Du spürst, das Du nun zum ersten Mal anfängst wirklich zu leben. Der Raum, in dem Du Dich nun mit großen Augen umsiehst ist dreidimensional und hat eine ungeheure Tiefe. Du spürst die Wahrnehmung der gesamten Oberfläche Deiner Haut, den Lufthauch, die Kleidung. Du nimmst all das wahr, ohne Worte, ohne einen Gedanken zu fassen. Endlich bist Du Du selbst, nicht mehr Dein Schatten. Du schaust in die Augen der Menschen, die gerade nicht das gleiche erleben. Sie sitzen in dem dunklen Raum und schauen nach wie vor auf die Leinwand. Der Blick in ihren Augen ist hohl. Du kannst die Erkenntnis, daß Du in einem Irrenhaus bist und gerade aus einer kollektiven Psychose aufgewacht bist, mit den Händen greifen. Deine Artgenossen verhalten sich wie lebende Wesen, die man gezwungen hat die Rolle von Marionetten zu spielen, die von unsichtbaren Fäden gelenkt werden. Ihr Anblick ist traurig. Du bist nicht mehr das kleine Ich, das sich in seinem Kopf sitzend empfindet, und durch die Augen wie durch Fenster nach draussen schaut, vom Universum getrennt. Du bist eins mit Dir selbst und der Welt. Du bist Eins mit dem Universum. Ein chemischer Prozess, ein biologisches Feuer, daß auf der Basis der vielfachen Bindungsmöglichkeit der Kohlenstoffatome brennt - und das irgendwann erlöschen wird. Deine Zellen leben in einem Zyklus; sie sterben ab und werden erneuert. Du atmest Sauerstoff ein, verdaust komplexe Kohlenstoffverbindungen und atmest Kohlendioxyd aus. Alles was Du je gelernt und nicht vergessen hast – auch wenn es schon lange nicht mehr in Deinem Bewusstseinsstrom aufgetaucht ist, weil Du es nicht hervorgekramt hast – es ist alles präsent. Alles zugleich.

Bei der Kommunikation des Gehirns mit sich selbst handelt es sich in gewisser Weise um eine Rückkopplungsschleife. Der Prozess ist ähnlich wie die akustische Rückkopplung einer akustischen Verstärkeranlage auf einer Bühne, wenn das Mikrofon dem Lautsprecher zu nahe kommt. Ein zufälliges Geräusch wird vom Mikrofon aufgenommen, verstärkt, wiedergegeben, in verstärkter Form aufgenommen, noch mehr verstärkt, in noch weiter verstärkter Form aufgenommen und so weiter. Ein zerstörerischer Teufelskreis ist entstanden. Dabei entsteht eine sich immer weiter verstärkende Schwingung. Der technische Fachausdruck für diesen Rückkopplungsprozess ist Oszillation, und es gibt Anwendungsbereiche in der Technik dafür. In einer Verstärkeranlage hat ein solcher Effekt nichts verloren. Es ist vielmehr eine ingenieurtechnische Herausforderung in Verstärkeranlagen Oszillationen zu vermeiden.

Um noch einen Augenblick bei dem Beispiel aus der Veranstaltungstechnik zu bleiben:Auf der Bühne entsteht durch die Oszillation ein sehr hoher und sehr lauter Ton, der die Verstärkeranlage und die Lautsprecher bis über deren Belastungsgrenze treiben und innerhalb kurzer Zeit zerstören kann. Bei leistungsfähigen Anlagen können ausserdem innerhalb kurzer Zeit bleibende Hörschäden bei den Zuhörern auftreten. Ein Tontechniker, der nicht vom Veranstalter, dem Eigentümer der Verstärkeranlage oder vom Publikum gelyncht werden will, unterbricht diesen Kreislauf schnellstmöglich.

Menschen, die sich auf die Projektionen des Bewusstseinstromes emotional einlassen und die Inhalte für bare Münze nehmen, laufen Gefahr den Bezug zur Realität zu verlieren. Die Projektionen des Bewusstseinsstromes können ebenso zu Reaktionen unseres Nervensystems führen wie reale Eindrücke und Sinneswahrnehmungen. Damit ist der Weg frei um allerlei Absonderlichkeiten, Grillen, wirre Ideen oder psychosomatische Erkrankungen zu entwickeln. Man kann mit der Fähigkeit des Gehirns mit sich selbst zu kommunizieren spielen, aber mein freundschaftlicher Rat ist: Tunlichst nichts ernst nehmen, was dabei entsteht! Eine Projektion, die Gefühle weckt ist potentiell in der Lage sich selbst zu verstärken und durch Feedback zu einer Oszillation aufzuschwingen. In dem Zusammenhang spricht man aber nicht von Oszillation, sondern häufig von Psychose. Das Spektrum reicht vom seligsten Größenwahn bis zu den tiefsten Abgründen der Depression. Erzeugt die Selbstkommunikation dann auch noch unterschiedliche Stimmen ist es bis zur Diagnose “Schizophrener Formenkreis” nicht mehr weit. Es ist naiv anzunehmen, dass man über diese Prozesse die Kontrolle in der Hand behalten kann, wenn man sie ernst nimmt.

Der Trick ist aus diesem Teufelskreis auszusteigen. Das ist nicht leicht, also sollte man das grösstmögliche Verständnis für die eigene Unfähigkeit haben. Je gelassener man es sieht, desto erfolgreicher ist man. Wenn man versucht, das kontrollierte Denken durch kontrolliertes Denken in den “Griff” zu bekommen, ist man bereits am Ende seiner Weisheit angekommen.

Man sollte die Selbstkommunikation des menschlichen Gehirns keinesfalls ernst nehmen. Kindern sieht man ein solches Verhalten nach, aber sie können sich zumindest zeitweilig zu extremen Nervensägen entwickeln. Bedauerlicherweise gilt ein gewisses Maß an menschlichem Dachschaden gesellschaftlich als normal. Man kann damit sogar einer etablierten Partei beitreten, und ein von vielen Menschen angesehener und gewählter Volksvertreter werden. Sie sehen, ich habe nicht die beste Meinung über den gegenwärtigen Zustand unserer Gesellschaft und unserer Demokratie. Die Mehrheit der etablierten Politiker in dieser Gesellschaft ist mir peinlich. Das selbe gilt in meinen Augen auch für jene Teile der Bevölkerung, die solche Politiker wählen.

Ich finde, jede und jeder sollte versuchen vom Baum der Erkenntnis zu naschen und seine Pforten der Wahrnehmung ausfegen. Auch dann, wenn der ernüchterte Anblick der Welt zunächst einmal erschreckend wirkt. Damit ist nicht die Natur gemeint – sie offenbart sich in einer ungeheuren und ungeahnten Schönheit. Aber über die Misstände der menschlichen Gesellschaft kann und will ich jedenfalls nicht mehr hinwegsehen. Da gibt es im Kopf nichts mehr umzudeuteln und zu beschönigen. Oder um es wie ein ehemaliger Grenzsoldat der DDR auszudrücken: “Wir machen das alle nur mit, weil wir fortlaufend lügen und nie die Wahrheit sagen. Wir belügen ständig uns selbst und alle anderen. Damit ist jetzt Schluss, auch wenn Ihr mich einsperrt! Was wir tun ist Mord! Ich mache da nicht mehr mit!”

Auch wenn das wozu man Dich zwingt ein weitaus kleineres Verbrechen gegen die Menschheit ist – mach nicht mehr mit. Höre auf Dich selbst zu belügen. Welchen Sinn hat es beispielsweise, Journalist zu sein, wenn man sich im vorauseilenden Gehorsam selbst zensiert oder immer wieder zensiert wird? Ich weiss, ich weiss: Die Miete muss bezahlt werden. Die Hypothek! Die Kinder! Der Mann! Die Frau! Das Auto!

Trotzdem: Wege entstehen beim Gehen. Eine Gesellschaft, in der die Menschen sich alle zusammen nicht mehr trauen, sie selbst zu sein und ehrlich zu sagen und zu tun was sie selbst denken, geht dem Untergang entgegen. Und wie soll man einen Journalisten nennen, der Gotham City auch noch öffentlich als “demokratisch” bezeichnet. Natürlich ist alles immer vom eigenen oder vom unter gewissem Zwang angenommenen Standpunkt aus zu sehen. So auch die Frage: Demokratie oder eher Oligarchie? Plutokratie oder Kleptokratie? Ist die Gesellschaft bereits untergegangen und vegetiert noch eine Weile, bevor ihre physische Existenz verhallt ist?

Wir lügen und verleugnen uns selbst. Wir zensieren uns selbst. Wir passen uns an. Wir vergehen uns an uns selbst.

Es ist besser stehend zu sterben als ein Leben lang auf Knien zu rutschen! Das ist auch ein Zitat, und ich kann ohne weiteres zugeben, dass es nicht von mir stammt. Es klingt heroisch, doch die meisten von uns haben sich längst bewusst für das Rutschen auf den Knien entschieden.


Kommentare

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Vom Wabern gestaltlosen Urgekröses
Da ist ein kleiner Fehler im Ansatz, würde ich sagen. Ein Strom mag ja im Gehirn Tag und Nacht dahin fließen. Aber mit Bewusstsein hat dieser Strom wohl weniger zu tun. Meines Erachtens ist das eher so eine Mischung aus archaischem Reflex und nachgeburtlich Angelerntem, mit dem man sich - wenn zu faul, das Hirn zu nutzen - recht bequem durchs Leben stümpern kann.

Wo man die Spiegel hinstellt, um sich und das weitere Umfeld Zeit seines Lebens in Beziehung zu bringen, entscheidet wohl eher über Horizont und Lebensintensität. Ich kann den Spiegel natürlich direkt vor mir selbst aufbauen und das Gehirn auf Vollautomatik stellen. Dann komme ich zu dem von dir beschriebenen Effekt: Ich kreisel um mich herum wie ein kleiner Tanzbär am Nasenring. Ich sehe immer nur mich in mir selbst, bis an den Horizont...

Ich empfinde das Denken nicht als Falle und abendländische Sackgasse. Für typisch abendländisch halte ich die Verwechslung von Denken und Selbstkontrolle. Denken ist, wenn man selber lacht. Selbstkontrolle ist, wenn man erst gar nicht anfängt zu denken. Zu wie viel Prozent liegt noch mal das Hirn des Menschen Zeit seines Lebens bracht? Herzliche Senfgrüße!

Autor: Senape de Tor