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Gegen die Dummheit



Dummheit ist ein gefährlicher Feind. Gegen die Dummheit sind wir nahezu ebenso wehrlos wie gegen Vulkanausbrüche und Erdbeben. Weder mit verbalen Protesten noch durch Bomben oder Schüsse läßt sich etwas Entscheidendes gegen die Dummheit ausrichten. Im Gespräch mit Dummen verfangen zwingende Argumente nicht; Tatsachen, die Vorurteilen widersprechen, akzeptierten sie einfach nicht - in solchen Fällen wird der Dumme sogar kritisch. Wenn Fakten unausweichlich sind, werden sie einfach als nichtssagende Einzelfälle beiseite geschoben. Für den Dummen gibt es immer die Möglichkeit, sich auf den Standpunkt zu stellen, dass Schwarz gleich Weiß und der Tod nicht das Ende Lebens ist, wenn er diese Überzeugung vertreten muss, um einem zwingenden Sachverhalt kognitiv auszuweichen. Die Psychologie nennt das Confirmation Bias.

Dabei sind Dumme im Unterschied zu denen, die sich absichtlich gemein verhalten, restlos mit sich selbst zufrieden; ja, sie werden sogar gefährlich, wenn man ihre Eigenlügen mit berechtigten Fragen konfrontiert, indem sie gereizt zum Angriff übergehen. So reagieren sie bevorzugt auf des tiefe Unbehagen ihrer kognitiven Dissonanz.

Erschütterungen ihres abgeschlossen Denkbildes können leicht in Gewalt umschlagen. Daher ist den Dummen gegenüber größte Vorsicht geboten.

Soviel ist sicher, dass Dummheit nicht wesentlich ein menschlicher, sondern ein intellektueller Defekt ist. Es gibt intellektuell außerordentlich gebildete Menschen, die dumm sind, und intellektuell ungebildete, die sehr intelligent sind. Dumme stellen sich gerne ins Licht und erfreuen sich an ihrem Schein. Je näher sie an der Quelle der Macht stehen, desto größer wird ihr Schatten.

Durch die Größe ihres Schattens bestätigt, fühlen sich die Dummen auf dem Höhepunkt ihrer männlichen Allmacht. Diese Beobachtung machen wir anläßlich bestimmter Situationen. Dabei gewinnt man den Eindruck, daß Dummheit kein angeborener Defekt ist, sondern dass unter bestimmten Umständen die Menschen dumm gemacht werden, bzw. sich dumm machen lassen. So ist die Dummheit sowohl ein psychologisches als auch ein soziologisches Problem. Sie ist eine besondere Form der Einwirkung geschichtlicher Umstände auf den Menschen, eine psychologische Begleiterscheinung bestimmter äußerer Verhältnisse. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, daß jede starke äußere Machtentfaltung, sei sie politischer oder religiöser Art, einen großen Teil der Menschen mit Dummheit bestraft. Ja, es scheint, als sei das geradezu ein soziologisch-psychologisches Gesetz. Die Macht der einen braucht die Dummheit der anderen. Der Vorgang ist dabei der, daß unter dem überwältigenden Eindruck der Machtentfaltung den Menschen durch Parolen und Verdrehungen ihre eigenständige Wahrnehmung geraubt wird und daß sie nun - mehr oder weniger unbewußt - darauf verzichten, sich in der bestehenden Situation selbständig zu verhalten.

Mit ihrer Bockigkeit täuschen sich die Dummen darüber hinweg, daß ihr Gehirn damit aufgehört hat, selbständig zu arbeiten. Man spürt es im Gespräch mit ihnen, dass man es gar nicht mit ihnen selbst, mit ihnen persönlich, sondern es mit übermächtig gewordenen Schlagworten, Parolen etc. zu tun hat. Sie stehen in ihrem Banne, sie sind durch die Macht verblendet, ihr eigenes Wesen ist mißbraucht, mißhandelt. So zum willenlosen Instrument geworden, sind die Dummen auch zu allerlei Grausamkeiten fähig und zugleich unfähig, wie unverblendete Menschen zu fühlen. Hier liegt die Gefahr eines geradezu diabolischen Mißbrauchs.

Den Dummen durch Gründe die Sinnlosigkeit ihrer Überzeugungen auszureden, ist sinnlos und gefährlich. Um zu wissen, wie wir der Dummheit begegnen können, müssen wir ihren Mechanimus aufspüren, um einen Hammer in das Räderwerk zu werfen. Worin besteht nun der Mechanismus der Dummheit?

Im Grunde besteht die Dummheit in der Idee, sich selbst durch die Macht der inneren Sprache zu beherrschen. Die Tatsache, dass man im Kopf redet, bedeutet nicht, dass man denkt – sondern nur, dass man redet. Das sich dadurch bildende Hirnvakuum füllt sich mit Müll: Man kann nicht sagen, was man nicht weiß – am allerwenigsten sich selbst. Gleichzeitig behauptet der Dumme, dass er stets wisse, was er sage. Da seine "Gedanken" Selbstgespräche sind, kann er sie sich von anderen "leihen" und beliebig oft wiederholen. Darum "denkt" und redet er heute so wie gestern und morgen so wie heute. Redet man mit ihm, so redet man stets gegen einen zweiten Dialog in seinem Kopf an, den er gleichzeitig dazu führt. Seine innere Stimme hat in allem das letzte Wort. Alles, was sagbar erscheint, erscheint ihm denkbar, auch wenn es erkennbar unsinnig ist.

Das Geplapper der meisten Medien ist das voreilige Geschwätz von Narren, die unter der Idee der Selbstkontrolle durch innere Selbstgespräche leiden und selber noch gar nicht wissen, was sie denken, bevor sie es sich selbst sagen gehört haben. So reden sie stets schneller, als sie denken können. Ihre übereilten Handlungen sind blinder Aktionismus von der übelsten Sorte. Ihre Texte sind meistens so billig, wie ihre Methode des Denkens. Die kognitive Infantilität ihrer Leserschaft scheint sie in ihrem Tun zu bestätigen. Qualität – wozu? Der innere Dialog ersetzt das Denken der kleinen rosa Zellen, auch dann, wenn ihre Schallplatte seit Jahrzehnten offensichtlich einen Sprung zu haben scheint. So predigen sie uns in einem kollabierenden Ökosystem weiterhin ewiges Wachstum. Aber auch der Größenwahnsinn findet spätestens mit dem Tod des Erkrankten sein Ende. Die Naturgesetze gelten überall im Universum.

Die kognitive Verzerrung, die dazu führt, dass relativ inkompetente Menschen die Tendenz haben, das eigene Können zu überschätzen und die Kompetenz anderer zu unterschätzen, heißt Dunning-Kruger Effekt.

Wir können also den enttäuschten Schlussfolgerungen der Misantrophen eine Absage erteilen, dass die biologische Natur des Menschen prinzipiell "böse" sei. Die Kategorien "Gut" und "Böse" sind eine religiöse Dichotomie. Für einen hungrigen Menschen ist ein voller Teller gut, ein leerer Teller ist schlecht. Aber aus den Adjektiven "gut" und "schlecht" selbständige Wesen zu machen - das "Gute", das "Schlechte" – ist ein Anzeichen von intellektueller Verwirrung. Dummheit ist schlecht, aber die Tatsache, dass ein Mensch durch eine Ideologie dumm gemacht wurde, stellt keine selbständige Entität dar, er ist nicht das "Böse". Es gibt kein "Böses" – aber es gibt viele Dumme, die aus dem intellektuellen Wahn, dem "Guten" zu dienen, schlechte Dinge tun. "Gott" und "Teufel" sind im philosophischen Sinne intelligibel – sie sind der Sinneswahrnehmung nicht zugänglich und existieren nur in den Köpfen derer, für die jeder vollendeter Satz bereits ein vollendeter "Gedanke" ist.

Das Ende der Dummheit ist nicht ein Akt der Belehrung, sondern ein Akt der Befreiung. Unter den gegebenen Umständen ist es völlig unerheblich was »das Volk« heute denkt. Die innere Befreiung des Menschen ist die einzige wirkliche Überwindung der Dummheit.

Es ist möglich, die Mehrzahl der Menschen für lange Zeit dumm zu halten, aber nicht für immer. Dabei ist klar, dass die Herrschenden sich prinzipiell mehr von der Dummheit als von der Selbständigkeit und Klugheit der Menschen versprechen. Je dümmer und unselbständiger die Menschen sind, desto leichter können sie regiert werden. Hier befinden sich die Herrschenden in einem inneren Konflikt. Ein bestimmter Anteil der Bevölkerung benötigt auch aus ihrer Sicht ein gewisses Maß an Intelligenz, um jene komplexen Maschinen zu verstehen und weiter zu entwickeln, auf denen ihre Macht heute basiert.

P.s.: Dieser Artikel ist angelehnt an und enthält Zitate aus dem Text "Von der Dummheit" von Dietrich Bonhoeffer. Bonhoeffers kraftvoller Text unterscheidet sich maßgeblich von diesem Artikel in Bonhoeffers Glauben an die religiösen Dichotomie von "Gut" und "Böse." Hier hat Bonhoeffer offensichtlich die Tatsache übersehen, dass auch der Glaube an die Allmacht "Gottes" den Blick verstellt. Vertiefend dazu empfehle ich den Artikel zur "Theologie nach Auschwitz" in der Wikipedia.